Skelettreliquien
in der Klosterkirche ALTOMÜNSTER

Die Choraltäre mit den stehenden Heiligen Leibern an Allerheiligen
|
Allgemeines
Zu den Elementen einer gehobenen
barocken Kirchenausstattung gehören in Süddeutschland
sog. "Heilige Leiber ", ganzfigurige Skelette von sog.
Katakomben-heiligen, die den Besuchern meist hinter Glas präsentiert
werden.
Dies gilt auch für die großen Kirchen unserer Gegend,
in Indersdorf, Dachau, Mariabrunn und insbesondere in Altomünster.
Diese Heiligen Leiber befriedigten das volksreligiöse Begehren,
das Heil Gottes sichtbar und fassbar zu machen. "Durch die
Katakomben-heiligen hatten die Gläubigen das Gefühl, mit
den ersten Christen und ihren Blutzeugen über die Jahrhun-derte
hinweg direkt verbunden zu sein", so Prof.Liebhart. 126)
|
Wiederentdeckung der Katakomben
Diese Verehrungsform
wurde durch die Entdeckung von großen frühchristlichen, unterirdischen
Friedhöfen (Katakombe), vor allem des "Coemeterium der Jordani"
in Rom am 31.März 1578 ermöglicht und gefördert.
Ein Weinberg
an der Via Salaria war eingestürzt und gab so die bisher unbekannte
Katakombe darunter frei.
Als man an den Gräbern im Jordani-Friedhof
Symbole von Kreuzen, Palmen und Tauben sowie Gefäße mit Duftstoffen
fand, die durch chemische Umbildung Blutfärbung angenommen hatten,
deklarierte man sie ohne kritische Wertung als Märtyrergräber.
Die unmittelbare Folge davon war eine barbarische Durchwühlung der
altchristlichen Begräbnisstätten nach heiligen Leibern. Man
vermutete in jedem Grab einen Märtyrer und wusste nicht, dass die
unterirdischen Coemeterien Roms noch viele Jahrhunderte nach der Christenverfolgung
als Begräbnisstätten benutzt worden waren.
Die
Gebeine wurden von professionellen, aber auch unkontrollierten Ausgräbern
erhoben und "getauft", d.h. mit Namen versehen, die an Tugenden (Clementia,
Victoria), heroische Eigenschaften (Fortunatus), an andere Heilige (Sebastian,
Maximilian) oder an die Situation des Auffindens (Anonymus, Ignotus) erinnerten.
Die offizielle Kirche war anfangs dagegen, doch als der Druck der Gläubigen
zu groß wurde, genehmigte sie die Ausgrabung, Taufe und Verehrung der
Katakombenheiligen. Vor allem nördlich der Alpen kam sie nach dem Dreißigjährigen
Krieg in Mode. Für diese sog. Katakombenheilige fand man eine neue
Präsentation: nicht als Knochensplitter in Reliquiaren, Ostensorien
oder Kopf-, Arm- und Fußreliquiaren (=redende Reliquiare) wurden
sie ausgestellt, sondern in sarkophagähnlichen Schreinen in der Predella
oder im Sockelteil der Altäre.
Die
Gebeine hat man -notfalls mit Holz ergänzt- zum vollständigen Skelett
zusammengefügt und mit ornamentalen Geflechten aus Gold- und Silberdraht,
mit Perlen und Pailletten dekoriert. Oder man hüllte sie in kostbare Gewänder.
In
jeder größeren Kirche wurden diese ganzfigurigen Reliquien Bestandteil
der barocken Ausstattung.
"Heilige
Leiber "
in Altomünster 115)
Altomünster nimmt
hinsichtlich der Skelettreliquien eine besondere Stellung ein. Es saß
seit 1678 dank seiner direkten Kontakte an der Quelle des Reliquienhandels
mit Katakombenheiligen 139).
Das Kloster gelangte so in den Besitz von sieben "Hl.Leibern".
Aber auch die Präsentation der Gebeine in Altomünster ist zumindest
in unserer Gegend einzigartig. Denn ein Teil der Heiligen Leiber sitzt
oder steht an den Altären. Diese Positionen riefen bei den Gläubigen
der damaligen Zeit ein noch stärkeres "Vergegenwärtigungserlebnis"
hervor. Eine solche Darstellung ist mir von keiner Kirche in Südbayern
bekannt.
Erwerb
der Skelettreliquien
Die ersten "Heiligen Leiber" (St.Maximian und St.Alexander-links)
wurden vom Prior Simon Hörmann am 12.9.1688 erworben (sie
sitzen
heute in den Altären des Beichtraums).
Sie sollen römische Soldaten
gewesen sein, von denen sich die Gläubigen in und um
Altomünster Schutz vor Kriegsgräuel
erhofften. 126)
Die nächsten drei (die Mutter St.Mercuria mit den beiden Kindern
Victoria und Fortunatus) am 12.9.1694 (Mercuria steht im
Choraltar, die Kinder in den Chor-Seitenaltären)
Die letzten beiden Leiber (Sebastian und Maximilian) erwarb Prior Jakob
Scheckh im Jahr 1724 (sie sind heute Liegefiguren in
den Seitenaltären im Hauptraum).
Scheckh hatte bei seinem Romaufenthalt noch zwei weitere Skelettreliquien
erworben, deren Namen sogar bekannt sind
(Clementia und Martha). Aber sie kamen nie in
Altomünster an.
Aufbewahrung
und Ausstellung der Skelettreliquien
Die sieben Heiligen Leiber in Altomünster befinden sich in sieben
der insgesamt neun Altäre. Aber nur die beiden Liegenden sind ständig
sichtbar (im Hauptraum).
Die zwei Sitzenden (im Beichtraum) und die drei Stehenden (in den Altären
des Herrenchors) sind die meiste Zeit hinter Altarblättern verborgen.
Bei ihrer Präsentation im November jeden Jahres werden sie aber nicht
die Skelettreliquien sondern die Altarblätter bewegt:
Die Gemälde an den Altären im Beichtraum können aus dem
Rahmen gehoben werden,
die Gemälde an den Altären im Herrenchor hängen an Hanfseilen
und können mit Welle und Zahnrad in den Unterbau des Altars versenkt
werden. "Der Mechanismus ist noch original, die Achsenhölzer,
um die sich die Seile winden, sind dreihundert Jahre alt, genauso wie
die eingebauten Zahnradbremsen", schreibt Alois Bierl. Aus haftungsrechtlichen
Gründen dürfe der Mechanismus nur von einem fachkundigen Restaurator
betätigt werden 126)
Wie das funktioniert, können Sie in einem Youtube-Film unter folgender
Internetadressse sehen:
https://www.youtube.com/watch?v=R7Uut-YdRMA&feature=youtu.be
Die "Heiligen
Leiber" stehen in perfekt gestalteten, mit rotem Samt ausgeschlagenen
Nischen z.T. mit Draperie bzw. mit reliefierten silberfarbenen Wolken
und Engelsköpfen. Die Sockel sind mit Rocaillen besetzt und vergoldet.
Die Altäre sind auch im November perfekt gestaltete Rokokoaltäre,
die sich in religiöse Bühnen verwandeln, auf denen in einem
statischen Schauspiel die Blutzeugen des Glaubens den andächtigen
Betrachtern unmittelbar gegenüberstehen. In einer den halben Kirchenraum
umfassenden Szene treten die Gestalten der Heiligen aus der Verborgenheit
des Alltags heraus auf die Bühne, um die Glorie des Glaubens zu verkünden.
115)
Liegende
"Heilige Leiber" im Hauptraum - im
Jahr 1724 erworben
St.Sebastian im linken Alta (Augustinusaltar) mit Krone
|

St.Maximilian im rechten Altar (Altoaltar) mit
Märtyrerpalme
|
Translation
der "Heiligen Leiber"
1694
Der
Empfang der Reliquien aus Rom (Translation) war jeweils ein großes
Fest.
Besonders feierlich wurde die Translation 1694 begangen. So wurden die
ankommenden "Heiligen Leiber" in einem festlichen Aufzug an
ihren neuen Standort geleitet und von den bereits vorhandenen "Heiligen
Leibern" empfangen. Dies war durch ein von Prior Scheckh persönlich
geschriebenes und selbst komponiertes Bühnenstück möglich.
In einer langen Prozession zogen Schauspieler, die die beiden vorhandenen
"Heiligen Leiber" Alexander und Maximian darstellten, mit den
tatsächlichen Skelettreliquien im Sarkophag vor den Ort hinaus, wo
unter einem Zelt die Leiber der neuangekommenen Mercuria, Victoria und
Fortunatus ruhten. Die Schauspieler waren mit Kostümen und Requisiten
der kurfürstlichen Hofkammer in München ausgestattet worden.
Ein Liedblatt "Zwey Blut-rothe Rosen/ Blühend im himmlischen
Paradeisgarten" wurde verteilt, dessen Inhalt auf die beiden Kinder
Victoria und Fortunatus hinwies, die einen frühen Märtyrertod
erlitten haben sollen. 126)
Im Spiel wurde der heilige Alto gebeten, die Heiligen Leiber hier aufzunehmen.
Der stimmte natürlich mit folgenden Worten zu: "Wer wolt da
nit aufnemen da in meinem Kloster solche Leuth, die Glickh mitbringen,
Sieg und Freud. Derwegen ihr Geliebte mein, kombet mit mir ins Closter
nein." 132)
Gislind M. Ritz führt
in seinem Aufsatz 115)
eine
zeitgenössische Beschreibung
des Prozessionszugs bei der Translation von 1694 auf
:
|
"Die
Bürger gaben Salve aus ihren Musketen, die Böller wurden
losgebrannt. Hierauf große Prozession; voran das Kreuz, dann
kam Bürgermeister Kaspar Gaisser in einem vergoldeten Brustharnisch
mit einem sehr große Federbusch, mit einem römischen Schürzel
von Silber gebrämt, trug er in der rechten Hand einen vergoldeten
Regimentsstab, in der Linken das Ordenswappen, ein rotes Kreuz mit
weißem Rundell, auf dem Schild eine guldene Krone, alles aufs
stattlichste. Diesen Ductoren (Anführer) haben begleitet
zwei Jünglinge mit Hellebarden in schönen römischen
Kleidern, auf den Häuptern Kränze.
Hernach schritt St.Alto, vorgestellt von Joseph Ulrich Achter (Marktschreiber),
eine ansehnliche Person mit angesetztem Bart und das Haar eingepudert,
in einem bischöflichen Habit; ihm ging nach ein Levit.
Es folgte der Pfarrherr mit einem Buch, dann Herr Dechant von Tödtenried,
Jakob Scheffler, in einem silbernen Rauchmantel mit dem Messer des
hl.Alto; Herr Dechant von Aichach mit dessen Kelch, dann vier Kanoniker
von Indersdorf, welche das große silberne Brustbild des hl.Alto
trugen.
Hierauf schritten einige Birgittinermönche und dann der Hl.Alexander
in der Person des Michael Fendt, Bürgers.
Nun erschienen vier Pfarrherrn mit dem Sarg und dem Leib (Skelettreliquie)
des Hl.Alexander und wieder sechs Pfarrherrn. Sonach kam die Person
des Hl.Maximilian, gekleidet in Silber und Goldstuck; sein Hl.Leib
von vier Pfarrherrn getragen; das Professfandl, welches Frater Alto
hatte; dann folgten P.Prior, P.Egard und Ulpho in einem neuen rotsamtenen,
mit großen goldenen Posamenten gezierten Ornate; hierauf Pfarrer
und Kaplan von Tandern, der Pfarrer von Rehling, Maching, Walkertshofen
und Bernbach..." |
Sitzende
"Heilige Leiber" im Beichtraum - 1688 erworben
St.Alexander mit Hammer und Beutel
|

St.Maximian mit Märtyrer-Palmzweig und Schwert
|
Beschreibung
der "Heiligen
Leiber"
Die Skelettreliquien
wurden weniger gefasst als vielmehr bekleidet. Sie tragen weitgebauschte,
fußlange glatte Röcke. Dazu eng anliegende Oberteile mit gespaltenen
Schößen und ebenfalls gespaltenen Ärmeln. Die Oberteile
sind mit reichstem Schmuck von großen tulpen- und sternförmigen
Einzelblüten, ganzen Blütenzweigen verziert, die in lockerem
Goldgeranke den roten Grundstoff bedecken. Sie wurden in Klosterarbeit
(Wickel- und Flechttechniken) und in Goldstickerei gefertigt und mit bunten
Steinen, Perlen und Goldpailletten besetzt.
Die Schädelpartien, die Finger und Füße sind mit tüllartigem
Stoff umhüllt. Eine Blattkrone umfängt das Haupt, von dem ein
weiter Schleier herabfällt. Die drei Figuren an den Choraltären
(Mercuria mit ihren Kindern) tragen am Hals einen steifen, hohen Kragen.
Die Rockteile bestehen heute als Seidendamast mit Vierpassmuster. Sie
könnten auch von der Renovierung im 19.Jh. stammen.
Dagegen ist davon auszugehen, dass die liegenden und sitzenden Figuren
im unteren Teil der Kirche um 1770 neu bekleidet wurden.
Die Skelettreliquien
halten verschiedene Attribute in den Händen. Da Katakombenheilige
fast durchwegs als Märtyrer angesehen wurden, hat man Ihnen eine
Märtyrerpalme beigegeben. Die Palme war schon in antiker Zeit ein
Siegeszeichen, das z.B. siegreichen Soldaten verliehen wurde. In der Hand
der Märtyrer ist sie Zeichen sieghafter Vollendung und im weiteren
Sinne Zeichen des Paradieses. Die Krönchen von Maximilian und Sebastian
haben die gleiche Bedeutung (Siegeszeichen), so wie das Schwert des hl.Maximian.
Das mit Stickerei besetzte Deckelgefäß der Mercuria und das
beutelförmige Gefäß des hl.Alexander und die Schale des
Maximian erinnern an die Dufstoffbehälter an den Katakombengräbern.
Alexander hält in der Rechten ein langstieliges Werkzeug, das den
entsprechenden Darstellungen in den Katakombengräbern ähnelt.
Die Fassung, Bekleidung und Verzierung
der Skelettreliquien wurden im Kloster Altomünster vorgenommen. An
diesen Arbeiten war nachweislich auch die Äbtissin Candida Schraivoglin
(1704-1715) beteiligt. In den Begleiturkunden zum Erwerb der Skelettreliquien
wird oft nur von Knochenteilen gesprochen. Durch die Bekleidung wird die
Illusion von vollständigen Skeletten erweckt. 152)
Stehende
"Heilige Leiber" im Altarraum - am 12.9.1694 erworben

Kind St.Victoria
|

Mutter Mercuria
|

Kind St.Fortunata
|
Stil
der Kleidung
Gislind M.Ritz schreibt in seinem Aufsatz über die Katakombenheiligen
in Altomünster: 115)
Die Heiligen
Leiber sind in Gewänder gekleidet, das der Welt des Theaters entnommen
ist. Sie ahmen die Kriegskleidung der römischen Kaiserzeit nach,
wie man sie damals von den Kunstwerken aus klassischer Zeit kannte. Ein
dem Körper eng anliegendes Oberteil (Leibstück), das ab der
Hüfte in Schuppen oder Streifen gespalten ist; dies gibt den Panzer
wieder. Es wurde in kostbaren Stoffen ausgeführt und reich geschmückt.
Der Schurz verselbständigte sich zum separierten Unterteil und gewann
die Gestalt eines steif abstehenden Rockes (Schürzl). Dieser Anzug,
in dem Ludwig XIV. von Frankreich in seiner Jugend in Baletten und Turnieren
aufgetreten war, wurde für Männer und Frauen in der zweiten
Hälfte des 17. und im 18.Jahrhundert zum klassischen Bühnenkostüm.
Dieses antike Kostüm findet sich nicht nur in Altomünster, sondern
in der gesamten religiösen Plastik Süddeutschlands, als Abzeichen
des Helden, namentlich des Blutzeugen für den christlichen Glauben.
Anmerkung
Der in früheren Jahrhunderten so beliebte Reliquienkult ist der modernen
Religiosität nicht mehr angemessen. Die Katakombenheiligen sind aber
-wie die verschiedenen Bau- und Zierformen der Kirchen geschichtlich interessant,
als Glaubenszeugnis der Menschen früherer Zeit. In der Reliquie verehrte
man den Heiligen selbst. Er war dem Gläubigen durch sie unmittelbar
gegenwärtig. Damit wurde in der christlichen Kirche ein Brauch fortgesetzt,
der schon im Altertum weit verbreitet war. Bereits im Heroenkult antiker
Zeit, in der Verehrung von besonders herausragenden und ausgezeichneten
Menschen nach ihrem Tod, standen deren Grab und Gebeine im Mittelpunkt
des Kultes.
Von den Gräbern der Märtyrer, der Heroen des Christentums, hat
der Heiligenkult seinen Ausgang genommen. Reliquien waren den Gläubigen
Unterpfand für die überirdische Kraft des Heiligen, für
seine besondere Stellung zu Gott, die er sich durch seinen Märtyrertod
oder durch ein besonders frommes und gottgefälliges Leben erworben
hatte.
Die Skelettreliquien der Katakombenheiligen stammen wohl nicht von Märtyrern,
sondern von normalen Christen und Nichtchristen Roms, die auf dem unterirdischen
Friedhof der Jordani begraben wurden. Das Bestreben der Gläubigen
in barocker Zeit nach greifbaren Zeugnissen des Glaubens und die Geschäftstüchtigkeit
der Reliquienhändler ergänzten sich. Eine Skelettreliquie dürfte
in etwa den Gegenwert eines Bauernhofs gekostet haben. Kritisches Geschichtsbewusstsein
war damals ohnehin nicht verbreitet. Jedenfalls gilt auch für die
Katakombenheiligen in Altomünster die Aussage: Reliquien sind echte
oder gefälschte Dokumente einer wahren Sehnsucht nach einem greifbaren
Stück Heiligkeit.
Film
über die Heiligen Leiber
Am
17.11.2019 hat das Regionalfernsehen Oberbayern einen 4-minütigen
Bericht über die Heiligen Leiber in Altomünster gezeigt.
Er ist in Youtube unter folgender Internetadresse zu sehen:
https://www.youtube.com/watch?v=R7Uut-YdRMA&feature=youtu.be
Hans Schertl

Hauptquelle: Gislind
M.Ritz, Die Katakombenheiligen der Klosterkirche zu Altomünster,
in: Festschrift Altomünster 1973
sowie Gisela Huber, Die Heiligen sind wieder sichtbar,
Dachauer Nachrichten vom 10.11.2020

28.7.2018
|