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Das Ende des 2.Weltkrieges
in der Pfarrei Röhrmoos

Ausführlicher Bericht über die Auswirkungen des Krieges in der Seelsorgestelle
und namentlich über die Ereignisse gelegentlich des Einmarsches der amerikanischen Truppen
von Pfarrer Endres an das Ordinariat in Freising vom 24 . Juli 1945

1.

Die Auswirkungen des letzten Krieges in der Seelsorgestelle Röhrmoos machten sich vor allem fühlbar geltend auf dem Gebiete der Schule und der gottesdienstlichen Verrichtungen.

Der Schulbetrieb in Röhrmoos litt während des ganzen Krieges unter fortlaufenden Veränderungen der Klasseneinteilungen und Schulzeiten sowie auch unter dem Ausfall zahlreicher Schulstunden. Im letzten Kriegsjahr steigerte sich diese Unstetigkeit im Schulbetrieb noch in einer fast nicht mehr tragbaren Weise. An und für sich besteht in Röhrmoos eine zweiteilige Schule mit den Abteilungen 1 mit 4 und 5 mit 8. Doch wurde die 4. Klasse, auch mitten im Schuljahr, bald in die Oberabteilung und bald wieder in die Unterabteilung mit einbezogen.
Zeitweise wurde auch die Unterabteilung wieder aufgeteilt in 1 mit 2 und 3 mit 4. Schule wurde für jede Abteilung jeden Tag gehalten. Sehr häufig hatten die Kinder aber auch, wenn nur ein Schulzimmer benützt wurde oder nur eine Lehrkraft zur Verfügung stand, in jeder Abteilung nur dreimal in der Woche, oder bei Aufteilung der Schule in 3 Abteilungen auch nur zweimal in der Woche Schule. Vorübergehend wurde auch wieder in der Weise Schule gehalten, daß jede Abteilung jeden Tag nur auf 2 bis 3 Stunden die Schule besuchte.
Wenn der Religionslehrer zu seinen Stunden, die unter diesen Verhältnissen im Laufe des Jahres natürlich immer wieder neu festgesetzt werden mussten, in die Schule kam, wußte er nie, welche Kinder er vor sich hatte und ob er überhaupt Unterricht halten konnte. Begründet waren diese ständigen Veränderungen des Schulbetriebes in Kohlenmangel, in der Benützung eines Schulsaales als Flüchtlingslager und auch in der Beurlaubung von Lehrkräften (bald war eine Lehrkraft beurlaubt wegen Schonung vor und nach der Entbindung, bald wieder, weil der Mann aus dem Felde auf Urlaub kam, u.s.w.).
Der Ausfall von Schulstunden war größtenteils verursacht durch die Heranziehung der Kinder zu nicht in Unterrichtsbereiche liegenden Arbeiten (Sammeln von Heilkräutern und deutschem Tun, Absuchen der Äcker nach dem Kartoffelkäfer, Sammeln von Tannenzapfen u.s.w.) und durch die zahlreichen Fliegerangriffe in den letzten Jahren. Daß unter diesen Verhältnissen auch der Religionsunterricht, der so schon nur als lästiges Anhängsel behandelt wurde, stark zu leiden hatte, ist selbstverständlich. Die Lehrkräfte zeigten jedoch immer noch soviel Entgegenkommen, daß sie ausgefallene Religionsstunden an anderen Tagen möglichst nachholen ließen; war dies nicht möglich, dann wurden die Kinder zum Religionsunterricht in die Kirche gerufen.

In der Schule in Sigmertshausen (eine einteilige Schule) fand während des Krieges kein Wechsel der Lehrkraft statt. Es zeigten sich hier auch während des Krieges keine wesentlichen Störungen des Schulbetriebes. Erst in den letzten Monaten des Krieges unterlag der Schulunterricht starken Einschränkungen. Im Dezember 1944 und Januar 1945 war wegen Kohlenmangel überhaupt kein Unterricht, dann wurde verkürzter Unterricht gegeben (täglich nur etwa 2 Stunden) und in den letzten Wochen waren nur noch Schulappelle, zu denen die Kinder ein- bis zweimal in der Woche in die Wohnung des Lehrers gerufen wurden, um Hausaufgaben entgegenzunehmen. Die Religionsstunden wurden jedoch stets in vollem Umfang weitergehalten, - soweit es nicht in der Schule möglich war, in der Kirche. Auch die Religionsstunden, die einige Male wegen Fliegergefahr unterbrochen wurden bzw. ausfallen mussten, wurden in der Kirche nachgeholt.

Im kirchlich-religiösen Leben der Pfarrei äußerten sich die Auswirkungen des Krieges vor allem in einer empfindlichen Einschränkung der gottesdienstlichen Verrichtungen. Abgesehen davon, daß die herkömmlichen Prozessionen und Bittgänge auf Sonntage verlegt werden mussten und manche hohe Feiertage nicht mehr gehalten werden konnten (die Bevölkerung hat diese Maßnahmen bitter empfunden), mussten auch die Gottesdienste selbst in immer einfacherer Weise durchgeführt werden. Mit Kerzen und Weihrauch musste gespart werden. Aushilfe durch fremde Geistliche bei besonderen Festen, wie Bruderschaftsfesten, war nur selten noch möglich. Auch die Orgel musste zeitweise schweigen, da die Organisten zum Heeresdienst einberufen wurden. Auch die Wegnahme der Kirchenglocken darf nicht unerwähnt bleiben; konnte doch die frohe Stimmung, die das Läuten der großen Glocke oder das Zusammenläuten der Glocken in den Herzen der Gläubigen auslöste, mit der einen, noch verbliebenen kleinsten Glocke, nicht mehr geweckt werden. Eine starke Beeinträchtigung erfuhren die Gottesdienste auch dadurch, daß den Gläubigen bisweilen die Erfüllung ihrer Sonntagspflicht durch Übungen und Dienstleistungen bei der Landwacht, Feuerwehr, Volkssturm und H.J. (= Hitler-Jugend) unmöglich gemacht wurde. Diese Dienstleistungen wurden in der Regel auf den Sonntagvormittag ohne Rücksicht auf kirchliche Veranstaltungen festgelegt. Der sittlich-religiöse Stand der Bevölkerung hat im großen und ganzen durch den Krieg nicht gelitten. Nur einige bedauernswerte Fälle sind vorgekommen, daß Kriegerfrauen, während ihr Mann im Felde stand, sich vergessen haben und die eheliche Treue brachen.

Sehr fühlbar machten sich die Auswirkungen des Krieges besonders noch in jenen Familien bemerkbar, in denen Väter oder Söhne zu den Waffen gerufen wurden. Auf diesen Familien lastete neben einem Übermaß von Arbeit auch noch die ständige Sorge um ihre Angehörigen. In manche Familien zog dann auch die bittere Klage über gefallene oder vermißte Krieger ein. 45 Krieger aus der Pfarrei Röhrmoos sind gefallen, etwa 10 bis 15 Krieger sind, zum Teil seit Jahren schon, vermißt und viele sind aus der Gefangenschaft noch nicht zurückgekehrt. Da gerade gut religiöse Familien von diesem Opfer des Krieges besonders schwer getroffen wurden, wurden Glaubenstreue und Gottesvertrauen auf eine harte Probe gestellt. Es kann jedoch festgestellt werden, daß die Gläubigen durchwegs die Kraft fanden, ihr schweres Los zu tragen. Allerdings muß auch erwähnt werden, daß das Wort "Not lehrt Beten", in diesem Kriege sich nicht besonders bewährte. Der Besuch der Messen und der Andachten sowie auch der Sakramentenempfang hat nicht in dem erwarteten und erwünschten Maße zugenommen.

Materielle Kriegsschäden: Die durch Fliegerangriffe verursachten Schäden im Pfarrbezirk Röhrmoos waren nicht erheblich. Die abgeworfenen Bomben fielen auf die Felder. Etwa 15 Granattrichter auf Äckern und kleinere Beschädigungen von Dächern an 3 Wohnhäusern waren die einzigen Folgen feindlicher Bombenabwürfe. In den letzten Wochen des Krieges haben noch Tiefflieger bei einigen Angriffen den Bahnhof Röhrmoos, die Lagerhalle des Bahnhofes und einige Holzhütten in Brand geschossen. Dabei kam ein italienischer Soldat ums Leben. An kirchlichen Gebäuden und an Schulhäusern entstand durch Fliegerangriffe keinerlei Schaden; auch Personenverluste unter der deutschen Bevölkerung waren nicht zu beklagen.

2.
Vorgänge beim Einmarsch der Amerikaner

Als nach der Durchstoßung des "unüberwindlichen Atlantikwalles" (so sagten die Hitleranhänger) von den alliierten Truppen auch noch der Westwall durchbrochen war [Atlantikwall = Befestigung an der holländisch-belgisch-französischen Atlantikküste; Westwall = Befestigungen an der deutschen Reichsgrenze gegen Belgien und Frankreich], da dämmerte es selbst auch unter den bisher ganz gutgläubigen und siegesbewußten Hitleranhängern allmählich auf, daß der Krieg verloren sei, und in der Bevölkerung war allgemein nur noch ein Wunsch, der freilich in Hinsicht auf den Naziterror immer noch nur mit Vorsicht geäußert werden durfte: Wenn nur die Amerikaner oder Engländer bald kämen, damit Hitlerregime und Krieg überstanden wären.

Der Monat April 1945 brachte dann die ersten Anzeichen, daß die Amerikaner nun nicht mehr lange auf sich warten ließen. Am 7. April 1945 begann der Volkssturm und H.J. (= Hitlerjugend) in fiebernder Eile mit der Errichtung von 3 Sperren an der durch Röhrmoos ziehenden Distriktstraße und mit der Anlage mehrerer Deckungsgräben entlang der Distriktstraße. Diese Hindernisse (Barrikaden aus Holzstämmen) waren als Abwehrmaßnahmen gegen den Vorstoß feindlicher Panzer gedacht, erwiesen sich aber schon bei der Anlage als ein nur ganz kläglicher, letzter Versuch eines Widerstandes und zeigten in aller Deutlichkeit die Ohnmacht der deutschen Verteidigungskraft.
In den folgenden Aprilwochen erlebte dann Röhrmoos Einquartierungen von größeren Truppenteilen; es waren bereits Fronttruppen, die in äußerst gedrückter Stimmung sich auf dem Rückzug befanden. Röhrmoos war in den Frontbereich gekommen. Das ließ auch der immer lauter werdende Donner der Geschütze aus der Richtung Ingolstadt und die immer lebhafter werdende Tätigkeit der Flieger, besonders der mit Bordwaffen schießenden Tiefflieger, erkennen. Von Tag zu Tag sah man nun mit größter Spannung dem Anmarsch der Amerikaner entgegen. Alles war von der bangen Sorge erfüllt: Wird es zum Kampfe kommen oder nicht. Bald hieß es, München und Dachau würden als offene Städte erklärt, dann wieder, es würde jede Stadt und jedes Dorf bis zum letzten Mann verteidigt werden.

Da kam der 28. April 1945. Schon die Morgenstunden dieses Tages brachten die Überraschung, daß im Rundfunk über den Sender München sich eine Bayerische Freiheits-Aktion (F.A.B.) hören ließ, die aufforderte, mit der Nazipartei zu brechen und den Amerikanern keinen Widerstand entgegenzusetzen. Bereits nach wenigen Stunden aber gab der Sender München wieder eine Erklärung des Gauleiters Paul Giesler, die Aufstandsbewegung in München sei niedergeschlagen, die Partei habe alles wieder fest in der Hand und man sehe mit fester Zuversicht dem Endsieg entgegen. Immer wieder wurde diese Erklärung des Gauleiters wiederholt. Und während man im Radio vom Endsieg sprach, musste Röhrmoos das Ende, aber ohne Sieg, erleben. In den Nachmittagsstunden des 28. April 1945 setzte in Röhrmoos der Durchmarsch der letzten deutschen Truppen ein, der sich abends 5 Uhr dann zu einem ununterbrochenen Zug von Wagen und marschierenden Truppen verdichtete. Es waren nur Gepäckwagen und armselige Pferdefuhrwerke, während den Straßenrand entlang die Soldaten einzeln hintereinander marschierten oder richtiger gesagt, müde und erschöpft dahinwankten.
Gegen 7 Uhr abends verhallten im Dorf die letzten Schritte deutscher Soldaten und auch das Gerassel der Pferdefuhrwerke verstummte. Eine geradezu feierliche Stille legte sich nun auf die Ortschaft. Die Straßen waren leer; auch die Ortsbewohner zogen sich in die Häuser zurück. Etwa um 8 Uhr abends wurde die lautlose Stille dann jäh unterbrochen durch die Explosion einiger kleiner Granaten. Die in nächster Nähe des Dorfes auf freiem Felde krepierten. Die Amerikaner waren da. Kurz darauf kam dann auch schon die Nachricht, daß die ersten amerikanischen Panzer von Großinzemoos her kommend die Siedlung "Station Röhrmoos" erreicht hätten und der vorderste Panzer vor dem Hause des Herrn Eggl, Röhrmoos Nr. 50, stünde. Nochmals setzte ein Schießen mit Granaten ein, das mit kürzeren Unterbrechungen etwa 2 Stunden bis nachts 11 Uhr dauerte; jedoch traf auch diesmal kein Schuß in die Ortschaft. Dann wurde es wieder ruhig und nur vom Bahnhof her hörte man in der Stille der Nacht noch das Motorengeräusch der feindlichen Panzer und vereinzelt auch laute Stimmen amerikanischer Soldaten. Aber auch dieser Lärm verstummte gar bald. Auf die Nachricht hin, die Amerikaner auf der Station Röhrmoos hätten sich zur Ruhe begeben, ging man auch im Dorf Röhrmoos zur Ruhe, allerdings mit einer gewissen Enttäuschung, denn man hätte den Durchmarsch der Amerikaner zu gern hinter sich gehabt.

Sonntag, 29. April 1945: Um ¾ 4 Uhr früh schreckte ein gewaltiger Krach die Bewohner von Röhrmoos aus dem Schlafe auf. Eine Granate war mitten im Dorfe explodiert, sodaß die Häuser stark erbebten. Und nun folgte eine Granate auf die andere, etwa 2 Stunden lang. Die meisten fielen ins Dorf. Es waren nur kleinere Kaliber; immerhin war die Splitterwirkung nicht unerheblich. Eine Unzahl von Dachplatten ging in Trümmer, Fensterscheiben zersplitterten und Häusermauern wurden durchlöchert. Besonders schwer getroffen wurden die Anwesen beim Schmied (Schwalb), beim Rab (Mayr), beim Wagner (Wiedemann), beim Geiger (Ostermair), und beim Mesner (Haller). Menschenleben waren nicht zu beklagen, auch Verletzungen kamen nicht vor. Beim Rab (Familie Mayr) schlug eine Granate schräg durchs Dach, bohrte sich durch die Mauern quer durch ein Schlafzimmer und kam auf der anderen Seite des Hauses heraus, um erst hier im Freien zu explodieren. Frau Mayr, die sich mit ihrem 5-jährigen Buben gerade in diesem Schlafzimmer befand, kam mit dem Schrecken davon. Um 6 Uhr hörte der Feuerüberfall auf Röhrmoos auf und in die feierliche Stille des Sonntagmorgens tönte nun wieder, wie schon am Vorabend vom Bahnhof Röhrmoos her, das Motorengeräusch der feindlichen Panzer und dazwischenhinein laute Rufe amerikanischer Soldaten. Jetzt erfuhr man auch, wie es zu diesem Feuerüberfall auf Röhrmoos in den Morgenstunden kam. Nachts zwischen 2 und 3 Uhr kam ein deutscher Leutnant mit einigen Soldaten, darunter auch ein Hitlerjunge, nach Röhrmoos, in der Absicht, amerikanische Panzer zu erledigen. Es gelang ihnen bis zu dem vor dem Hause des Herrn Eggl stehenden Panzer vorzudringen, ohne vom Feinde bemerkt zu werden. Die Besatzung des Panzers hatte sich in ein Nachbarhaus (Nr.46 beim Haas) zurückgezogen und ließ in diesem Haus ohne Verdunkelung der Fenster die Lichter brennen. Vom Lichtschein angelockt wandten sich die deutschen Soldaten zuerst diesem Hause zu und als sie in der Stube Amerikaner erblickten, schossen sie hinein. Dabei wurde ein auf dem Diwan liegender Amerikaner von einer Kugel tödlich durch die Brust getroffen. Ein weiterer Kampf entstand nicht, da die deutschen Soldaten sofort flohen. Der deutsche Hitlerjunge wurde ,an den Hüften verwundet, von den Amerikanern als Gefangener eingebracht. Die Folge dieses Zwischenfalls war dann, daß eine Stunde später der oben erwähnte, zweistündige Feuerüberfall auf das Dorf Röhrmoos erfolgte.
Sonntag, 29.4.1945: Endlich um ¾ 9 Uhr vormittags rückte der erste amerikanische Panzer ins Dorf herein und nun folgte den ganzen Tag über ein Panzer auf den anderen. Der Einmarsch der Amerikaner hat ein ganz anderes Bild als der Rückzug der Deutschen am Tage vorher. Schon die ersten Panzer wurden von der deutschen Bevölkerung freudig begrüßt durch Schwenken großer weißer Tücher und durch laute Zurufe. Die amerikanischen Soldaten, in ihrem Aussehen frisch und gut genährt und auch gut bewaffnet, saßen mit frohen Gesichtern ohne Deckung auf ihren Panzerwagen und dankten hin und wieder durch Zuwinken für die ihnen zuteil gewordene Begrüßung. Der Krieg war über Röhrmoos hinweggegangen und zwar ohne nennenswerte Kampfhandlung. Zivilpersonen kamen nicht ums Leben; etwa 5 Häuser wurden, wie schon erwähnt, durch Granatsplitter beschädigt. Die Kirche blieb bis auf einige zersprungene Fensterscheiben unversehrt. Im Pfarrhof gab es kleinere Schäden am Dach, an den Fenstern und an der Gartenmauer. Das Schulgebäude erlitt keinen Schaden.
Da der Einmarsch der Amerikaner gerade in den Vormittagsstunden des Sonntags erfolgte, konnten die üblichen Gottesdienste bis auf die Pfarrmesse, die in aller Stille ohne Beteiligung der Bevölkerung gefeiert wurde, nicht gehalten werden. Werktagsgottesdienste in der folgenden Woche wurden aber dann wieder regelmäßig durchgeführt. Die Kirche wurde von den durchziehenden Amerikanern überhaupt nicht betreten; im Pfarrhof zeigten die Amerikaner ein einwandfreies Benehmen.

In der Filiale Sigmertshausen zogen die amerikanischen Truppen bereits am Samstag, 28.4.1945 abends, ein. Dabei kam es zu kleineren Schießereien und Handgreiflichkeiten zwischen deutschen und amerikanischen Soldaten. Drei deutsche Soldaten fanden den Tod. Der Obergefreite Max Meier aus Aufkirchen am Starnbergersee wurde vor der Wirtschaft in Sigmertshausen von Amerikanern erstochen. Der Soldat Heinrich Theobald starb im Hause Eggendinger (Beim Koch, Nr.9), wohin er schwer verwundet gebracht wurde. Ein dritter deutscher Soldat, dessen Personalien nicht festgestellt werden konnten, wurde auf der Straße von Sigmertshausen nach Rumeltshausen tot aufgefunden. Diese 3 toten Krieger wurden am 1.5.1945 auf dem Friedhof in Sigmertshausen in einem gemeinsamen Grabe kirchlich beerdigt und ihre Namen ins Totenbuch der Pfarrei eingetragen. Sonstige Tote waren in Sigmertshausen nicht zu beklagen, auch Beschädigungen von Häusern kamen nicht vor.
Ein größerer Schaden entstand allerdings auf den Feldern, da die Amerikaner in der Sigmertshausener Flur ihre Geschütze in Stellung brachten, um am Montag, 30.April nach München zu schießen.

In den Filialen Schönbrunn und Riedenzhofen erfolgte der Durchmarsch der Amerikaner reibungslos.

3.
Plünderungen

Zu einem besonders traurigen Kapitel wurden nach dem Einmarsch der Amerikaner die Plünderungen. Von amerikanischen Soldaten wurden in einigen Privathäusern Uhren und Wertsachen, auch Radioapparate mitgenommen. Die eigentlichen Plünderungen geschahen aber durch deutsche und ausländische Zivilpersonen. Zwei große Lagerhäuser (SS-Warenlager und Warenlager der Baywa) am Bahnhof Röhrmoos wurden von deutschen Volksgenossen vollständig ausgeraubt. In diesen Lagern waren große Mengen von Kübeln und Kochtöpfen, mehrere hundert Zentner Getreide, ferner Futtermittel, Wolle, Marmelade, chemische Präparate und anderes mehr aufbewahrt.
Besonders hervorgetan als Plünderer haben sich ortsansäßige Einwohner der Siedlung Station Röhrmoos (Diese Siedlung, unter dem Namen "im Elend" oder "Glasscherbenviertel" bekannt, steht von jeher schon in schlechtem Rufe); aber auch Gütler und Bauern sah man Tage lang auf langen schwerbeladenen Leiterwagen Waren aus diesen Lagern fortfahren; auch von umliegenden Gemeinden kamen Wagen angefahren. Dabei machten die Plünderer nicht einmal Halt vor dem Privateigentum von Münchener Fliegergeschädigten, die ihre letzte Habe durch Unterbringung auf dem [S. 64*] Lande noch zu retten suchten. So wurden auch eingelagerte Möbel von nicht geringem Werte gestohlen und teilweise auch in primitiver Weise vernichtet. Auf diese Vorkommnisse hin sah sich das Pfarramt Röhrmoos veranlaßt, am Sonntag, 27.5.45, beim Pfarrgottesdienst folgende Kanzelerklärung abzugeben:
 
Das Pfarramt wurde in letzter Zeit wiederholt angegangen, zu den Vorkommnissen in der Station Röhrmoos Stellung zu nehmen. Es haben sich an das Pfarramt sowohl Opfer dieser Vorkommnisse gewandt, nämlich Geschädigte, aber auch solche, die in irgend einer Weise an diesen Vorkommnissen sich beteiligten und in ihrem Gewissen nicht recht Ruhe finden können. Ich gebe nun dazu folgende Erklärung ab: Es ist grundsätzlich ein Unterschied zu machen zwischen der Wegnahme von Sachen aus dem SS-Lager und der Wegnahme anderer Sachen. Über das SS-Lager kann gesagt werden: Da mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen die SS-Organisation aufgehört hat zu existieren, sind die aufgestapelten Waren im SS-Lager herrenloses Gut geworden und schließlich auch Allgemeingut, da – wie ich gehört habe, amerikanische Truppen dieses Lager für die Bevölkerung freigegeben haben. Man kann also die Wegnahme von Waren aus dem SS-Lager mit seinem Gewissen noch vereinbaren. Nur wäre angebracht gewesen, die Leerung des SS-Lagers nicht nach der Art des Plünderns vorzunehmen, sondern eine geordnete Verteilung an die Allgemeinheit durchzuführen. - Abgesehen vom SS-Lager wurden aber auch noch andere Waren und Gegenstände weggenommen und zum Teil auch zerstört, deren Eigentümer jetzt noch da sind und mit vollem Recht Anspruch auf ihr Eigentum erheben können. In diesem Falle entsteht natürlich ohne Zweifel die Pflicht der Zurückerstattung bzw. des Schadenersatzes. An dieser Tatsache ändert sich nichts, auch wenn einzelne amerikanische Soldaten vielleicht auf irgend eine Beschuldigung hin solches Privateigentum der Bevölkerung zur Wegnahme freigaben. Die Bevölkerung oder die Allgemeinheit hätte erst dann ein Recht auf Aneignung solcher Sachen, wenn deren Eigentümer ihres Besitzrechtes verlustig erklärt würden. Eine derartige Erklärung können aber nicht einzelne Soldaten abgeben, sondern müßte nach Prüfung der ganzen Sachlage von den Behörden, gegenwärtig von den amerikanischen Militärbehörden, ausgesprochen werden.Das ist die rechtliche Beurteilung der Vorkommnisse an der Station Röhrmoos und danach hat sich jeder zu richten, der Wert legt auf ein ruhiges Gewissen. Betonen möchte ich noch, daß in letzterem Fall, wo es sich um Privateigentum und zwar um größere Werte handelt, auch die Beichte nichts nützt, solange nicht eine Zurückerstattung oder Wiedergutmachung durchgeführt wird.Es ist daher zu erwarten, daß alle nicht aus dem SS-Lager weggenommenen Gegenstände und Waren ihren Eigentümern wieder zurückgegeben werden, gleichgültig ob diese Sachen aus Gründen der Sicherstellung fortgeschafft wurden oder aus anderen Gründen. Es haben nicht nur ortsansäßige Einwohner von ihrem Eigentum eingebüßt, auch fliegergeschädigte Familien aus München haben ihre letzte Habe, die sie auf dem Lande zu retten suchten, verloren. Bei einer eventuellen Anzeige, die bereits in Aussicht genommen ist, werden die amerikanischen Militärbehörden ganz gewiß diesen geschädigten Personen zu ihrem Rechte verhelfen und in Röhrmoos gegebenenfalls Hausdurchsuchungen vornehmen. Möge darum die Aufforderung zur Herausgabe der widerrechtlich angeeigneten Sachen befolgt werden um zu verhüten, daß amerikanische Militärbehörden eine größere Aktion in Röhrmoos unternehmen.

Die Plünderungen durch deutsche Volksgenossen nahmen nach einigen Tagen wieder ein Ende, aber eine wahre Landplage wurden dann doch die Plünderungen durch polnische und andere ausländische Zivilpersonen. Über zwei Monate lang wurden bäuerliche Anwesen immer wieder ausgeraubt. Gestohlen wurden vor allem Lebensmittel, Vieh und Fahrräder. Kirchen und Pfarrhof in der Pfarrei Röhrmoos blieben von den Plünderungen verschont.

Anmerkung vom 1. August 1945:
Als die Amerikaner am 29. April durchmarschiert waren, trat eine Stockung im ganzen öffentlichen Leben ein. In den Geschäften gingen die Lebensmittel aus, da neue Waren infolge mangelnder Transportmittel nicht nachgeschafft werden konnten; zudem waren die Lagerhäuser überall ausgeplündert worden. In den Bäckereinen ging sogar das Brot aus. Bis zum 9. Mai war der elektrische Strom unterbrochen, sodaß man wie in früheren Zeiten sich mit Kerzenlicht behelfen musste. Wegen Strommangel schwieg auch der Radio. Man war von der Welt ganz abgeschlossen. Der Postverkehr setzte erst gegen Ende Juni wieder ein, ebenso war auch der Eisenbahnverkehr wochenlang vollständig lahmgelegt. Zeitungen gab es ebenfalls mehrere Wochen hindurch nicht. In Fabriken und Betrieben, in den Büros und in den Werkstätten ruhte die Arbeit. Banken, Behörden und Geschäfte waren geschlossen.
Der Staat war ohne Regierung; Landrat, Bürgermeister und Gendarmerie waren ihres Dienstes enthoben. So hatte das lichtscheue Gesindel freie Hand. Vor allem die Polen, die unter der Hitlerregierung ihrer Freiheit und ihrer Menschenrechte beraubt worden waren und nur noch geduldet waren, um ihre Arbeitskraft auszunützen, trieben ungestört ihr Unwesen. In den Häusern und auf offener Straße nahmen sie unter Bedrohung des Lebens Fahrräder weg, versahen sich mit gestohlener Kleidung, fuhren in gestohlenen Autos und hielten, was ihnen bisher nicht gestattet war, nun gleich massenhaft (gleich 50 und 60 Paare auf einmal) Hochzeit, wozu sie die Lebensmittel aus den Bauernhöfen holten. Und niemand schritt dagegen ein. Wer sich zur Wehr setzte, musste sein Leben lassen.
Auch viele Häftlinge aus dem Konzentrationslager durchzogen die Dörfer und suchten in den Häusern vorübergehend Unterkunft und Verpflegung. Gar manche trugen die Spur unmenschlicher Behandlung, die sie im Konzentrationslager erlitten hatten, noch deutlich an sich. Jetzt erst erfuhr man Einzelheiten über die bestialischen Grausamkeiten, die in den Konzentrationslagern, auch im Lager Dachau, verübt wurden. Ebenso kam auch jetzt erst an die Öffentlichkeit wie die "Volksbeglücker" des Dritten Reiches, die "Nazibonzen", in einem unvorstellbaren Luxusleben schwelgten mit den Steuer- und Opfergroschen, die das Volk in gutem Glauben gab. Man kann es verstehen und auch billigen, wenn die amerikanische Militärregierung nun mit aller Schärfe darangeht, den Nationalsozialismus und den deutschen Militarismus auszurotten. Das Sonderbare ist, daß nun auf einmal niemand mehr Nationalsozialist gewesen sein will. Gerade jene, die vor wenigen Wochen noch so stolz auf ihren "Führer" (Adolf Hitler) waren und mit ihrem Parteiabzeichen protzten, sind jetzt auf einmal nur aus Zwang bloß "zahlende Mitglieder" geworden und haben für die Partei nichts getan.. Früher wollten sie von der Kirche und vom Pfarrer nichts wissen, jetzt kommen sie ins Pfarramt und bitten um eine amtliche Beglaubigung, daß sie keine aktiven Nationalsozialisten waren. Aber die Amerikaner sorgen dafür, daß die Schuldigen nicht entwischen. Auch in der Pfarrei Röhrmoos sind schon einige "prominente" Nazis fortgeholt worden.

Anmerkung vom 31. Dezember 1945:
Das Jahresende 1945 verpflichtet zu einem besonders dankbaren Aufblick zu Gott. Das Jahr 1945 hat endlich dem Menschenmorden ein Ziel gesetzt. Der Krieg ist vorüber; allerdings sind noch manche Männer der Pfarrei in Gefangenschaft, aber es besteht doch wenigstens gute Hoffnung, daß sie wieder heimkommen. Nicht nur der Kampf an der Front hat aufgehört, auch die Heimat ist nun wieder sicher vor Fliegerangriffen. Mit Ruhe kann man seiner Arbeit nachgehen, mit Ruhe auch am Abend sich zum Schlafen legen. Ein besonderes Geschenk des Jahres 1945 ist auch der Zusammenbruch der Hitlerherrschaft. Freilich sind die Zeiten immer noch schwer und die Folgen des verlorenen Krieges werden als Erbe der Hitlerregierung noch lange zu spüren sein, aber die Befreiung von der Hitlertyrannei konnte nur vom Ausland, also durch einen verlorenen Krieg, kommen. So ist das furchtbare Unglück, in das unser Vaterland gestürzt wurde, letzten Endes doch ein Glück. Es ist nach Überwindung der Hitlerzeit nun der Boden bereitet, auf dem unser Volk wieder einer glücklicheren Zukunft entgegengehen kann.


Quelle:
Röhrmooser Pfarrchronik 1933 - 1953

Kirchen und Kapellen im Dachauer Land - ein virtuelles Guckloch durch die verschlossene Kirchentür

31.12.2008