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Wilhelm Pflüger,
ein Priester im NS-Widerstand

Von Helmut Größ

Wilhelm Pflüger wurde am 31.Jan.1952 in Vierkirchen als Pfarrer investiert, am 1. März in der Gemeinde pompös empfangen und am 16. März durch Prälat Pfanzelt eingeführt. Damit begann eine kurze Episode dieses Geistlichen in unserem Dorf. Dass dieser Seelsorger bereits eine mehr als kritische Zeit in verschiedenen Pfarreien, zuletzt in Goldach, Gemeinde Hallbergmoos im Nachbarlandkreis Freising, verbracht hatte, wussten damals die wenigsten Vierkirchner. Seine religiöse und politische Überzeugung hatte ihn in den letzten Kriegsmonaten sogar in das Konzentrationslager nach Dachau gebracht. Diese Zeit und auch die Jahre davor im Widerstand gegen das Naziregime prägten seine Psyche und seine priesterliche Tätigkeit nach 1945 ganz entscheidend.

Sein Werdegang

Wilhelm Pflüger wurde am 9.3.1906 in Riesenfeld, heute Münchner Stadtteil Milbertshofen, als vierter von insgesamt acht Söhnen der Eheleute Karl Friedrich und Karoline Pflüger geboren. Sein Vater war Kaufmann, im Adressbuch Milbertshofen wird er als Tinten- und Gummistempelfabrikant und Kaufmann benannt, wohnhaft Keplerstr. 28.i Nach der Eingemeindung Milbertshofens 1921 nach München Umbenennung der Anschrift in Sailerstr. 28, heute Georgenschweige nahe BMW. Hier wuchs der junge Willi unter dem strengen Regiment eines tiefgläubigen Vaters auf; er verbrachte die ersten Jahre seiner Schulzeit bis 1916 in der Volksschule in München Milbertshofen. Bis 1921 besuchte er das Ludwigsgymnasium in München, danach fünf Jahre das Gymnasium Freising. Nach dem Abitur 1926 wurde er in das Priesterseminar in Freising aufgenommen. Er folgte damit dem kategorischen Beschluss seines Vaters, dass jeder zweite seiner Buben Priester werden müsse.


Die Familie Pflüger um 1916, ganz rechts Wilhelm

Foto: Fritz Pflüger

Am 29. Juni 1932 erhielt Willi Pflüger im Freisinger Dom die Priesterweihe. Anschließend feierte er in St. Sebastian in München (Schleißheimerstrasse) die feierliche Primiz mit seinem älteren Bruder Karl und dem Stadtpfarrer von St. Sebastian als Konzelebranten.ii Seelsorge und Auflehnung gegen die neue Politik Am 16.7.1932 begann er seine berufliche Laufbahn als Koadjutor in Rieden bei Starnberg.

Weitere Aufgaben als Koadjutor folgten in Tacherting, Grassau und Lengdorf. Die erste Kaplanstelle bekam er am 1.11.1933 in Bad Reichenhall, und ab 15.2.1934 in Töging am Inn. Besondere Aufgaben sah er in der Aufbau- und Betreuungsarbeit der katholischen Jugend. Am 1.6.1935 kam er als Kooperator nach Aufkirchen am Starnberger See und schließlich am 1.5.1936 nach Inzell. Dort nahm er Kontakte zu Mitgliedern seiner früheren Pfarrei in Reichenhall auf und betätigte sich in einer Gruppe von Antifaschisten.


Die Familie Pflüger um 1932: hinten von links Hans, Heinrich, Friedrich, Luitpold, Ernst und Bruno,
vorne Karl, die Eltern Karolina und Karl, Wilhelm.          
Foto: Fritz Pflüger

1937 wechselte er als Kooperator nach Neufahrn/Freising; ab 1.9.1938 zog er als Expositus der Pfarrei Hallbergmoos in den Pfarrhof in Goldach ein. Seine negative Einstellung zu den Nationalsozialisten brachte ihn schon bald in erste Schwierigkeiten. In dem "Fragebogen A, Nationalsozialistische Verfolgung katholischer Geistlicher"i, den er 1946 ausgefüllt hatte, berichtete er aus seiner Zeit als Kaplan in Töging (1934) von Vorladungen vor das Landratsamt Altötting wegen Kanzelvergehen.Zweimal verwarnte ihn die Gestapo München und Berlin ohne Verhör. 1935 erhielt er eine Vorladung vor den Landrat in Starnberg erneut wegen Jugendseelsorge in Aufkirchen a.W. (am Würmsee = Starnberger See), wo er ebenfalls verwarnt wurde. Diese Vorladungen und Verwarnungen gingen auch bei seinen folgenden Amtsstellen in Innzell und Goldach weiter, änderten sein Verhalten aber in keiner Weise.

Besonders seine Tätigkeiten für die Jugend waren den NS- Stellen ein Dorn im Auge. Denn vor allem in der Jugendarbeit überzog das Regime die Kirche mit Repressionen. Zunächst verbot es Uniformen, Wimpel und Abzeichen, im Laufe der 30er Jahre wurden schließlich alle katholischen Jugendvereine zwangsweise aufgelösti. Die Jugendlichen versuchten, die Verbote zu unterlaufen, indem sie sich heimlich mit ihren Seelsorgern trafen. Seit 1935 kämpfte die Kirche vergeblich um den Bestand der "Bekenntnisschulen", die vom Regime durch nationalsozialistische "Gemeinschaftsschulen" ersetzt wurden. Erfolgreich war sie 1941 im Fall des "Kruzifix­Erlasses": Die gläubigen Bevölkerung erreichte mit massiven Protesten, dass Schulkreuze weiterhin in den Klassenzimmern hängen blieben. Auch Pflüger schildert im Einzelnen Überfälle der HJ Mühldorf und Töging auf kath. Jugendvereine und den Präses, von Schlägereien und Verunglimpfungen, dem Abreißen des Christuszeichens (1934), von Bedrohung der Christkönigsjugend in Aufkirchen (1935/36). Auch hier war besonders der Präses das Opfer.

Auch nach seinem Einzug 1938 in Goldach widmete sich Wilhelm Pflüger ungeachtet der bisherigen Erfahrungen mit den Nazis intensiv der Jugendarbeit. Er gründete Theatergruppen für Kinder sowie Jugendliche und baute das Ministrantenwesen aus. Ein besonderer Schwerpunkt war die Förderung der vokalen und instrumentalen Kirchenmusik; er beschaffte für die Goldacher Kirche eine neue Orgel. Die Kirche wurde erst nach dem I. Weltkrieg 1919 gebaut. Der Grundstock war eine Fesselballonhalle, die in Blaichach bei Sonthofen aus Heeresbeständen günstig erworben werden konnte.

Willhelm Pflüger war ein sehr konservativer Priester und eifriger Seelsorger. Seine Predigten waren oft deftig, er nahm kein Blatt vor den Mund und prangerte Missstände offen von der Kanzel herab an. Besonders der sonntägliche Kirchenbesuch war ihm sehr wichtig. Eine Episode dazu berichtet sein Neffe Fritz Pflüger: "Eines Sonntags erklärte er mir vor der Messe, ich solle nach dem Evangelium mit der Gemeinde Lieder singen, Marienlieder, denn es war Mai. Pfarrer Pflüger zog nach dem Evangelium mit den Ministranten vor das Kirchenportal. Dort waren im Friedhof die Honoratioren, bzw. diejenigen die sich dafür hielten, zusammen mit dem Bürgermeister in reger Diskussion versammelt. Der Pfarrer hielt ihnen eine Predigt, die sich gewaschen hatte. Nach der Predigt mussten sie das Vaterunser beten und zum Schluss kniend den Segen empfangen. Am nächsten Tag fuhr eine Abordnung nach München und beschwerte sich beim Kardinal. Der Bürgermeister beschwerte sich bei der NSDAP-Kreisleitung, und so wurde Pfarrer Pflüger erneut verhaftet, blieb ohne Gerichtsurteil wochenlang im Gestapogefängnis".

In seinem Seelsorgbereich lag Schloss Birkeneck, mit dessen Patres der Herz-Jesu-Mission er sich gut verstand. Dort baute er zusammen mit anderen Gleichgesinnten ein antifaschistisches Netzwerk auf und aus. Helfer fand er unter Landwirten, Intellektuellen aus der Kreisstadt Erding, aus Wartenberg/Moosburg und aus München. Antrieb für seine Betätigung gegen die Nationalsozialisten war sein Bruder Heinrich, der sich schon 1936 einer Gruppe angeschlossen hatte, die sich in der Folgezeit als "Harnier-Kreis" im Münchner Umfeld etablierte. Der "Harnier-Kreis" aus bayerisch­monarchistischen Freundeskreisen und Stammtischrunden (BHKB, BVP, BW u.a.), formierte sich nach 1933 in München eine Gruppe, die aktiv für ihre Überzeugung eintreten wollte. In dem Rechtsanwalt Freiherr von Harnier fand sie 1936 ihren führenden Kopf. Adolf Freiherr von Harnier (14.04.1903 - 12.05.1945) trat 1934 zum katholischen Glauben über. In der Zeit des NS-Regimes verteidigte er Geistliche vor Gericht und setzte sich bis 1939 als Rechtsbeistand für Juden ein. Harnier war zutiefst davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus an sich selbst zugrunde gehen werde, und hielt für die Zeit danach im monarchistischen Sinne an rechtsstaatlichen Vorstellungen fest.
Als kompromissloser Gegner des Nationalsozialismus war Harnier von seinen Standesgenossen zutiefst enttäuscht; bei den "einfachen" Leuten der königstreuen Gruppe fand er die aufrechte Haltung, die er sonst vermisste. In Privatwohnungen hielt er Vorträge über die verbrecherische Natur des NS­-Regimes. Ziel war, für die Zeit nach dem Zusammenbruch eine Auffangorganisation zu bilden. Harniers eifrigster Mitarbeiter, der Bauaufseher Josef Zott, drängte auf eine Radikalisierung des Widerstands. Der Nationalsozialismus galt als Verkörperung des "Preußentums", das Bayern seiner Freiheit und Eigenstaatlichkeit beraubt habe. Ein Spruch dazu lautete: "Unser Himmel ist blau-weiß, unser Feind, das ist der Preiß!" Durch unermüdliche Werbearbeit gewann der Kreis schließlich über 130 Mitglieder in ganz Bayern. Doch die Gestapo war all die Jahre über dabei: Über einen Kontakt Zotts zu Kommunisten hatte sie drei Spitzel einschleusen können.
Im August 1939 rollten die Massenverhaftungen an.

Wilhelm Pflügers Weg ins KZ
Am 16.8.1939 wurde auch Pfarrer Wilhelm Pflüger im Goldacher Pfarrhof verhaftet und in das Wittelsbacher Palais, dem Gestapohauptquartier in München, verbracht. Dort traf er seine sieben Brüder und seinen hochbetagten Vater. Jetzt ahnte er den Verhaftungsgrund. Nach und nach traf er eine Reihe seiner Freunde, die ebenfalls am gleichen Tag in einer groß angelegten Aktion verhaftet worden waren. Die von Harnier organisierte bayerische monarchistische Widerstandsbewegung, die unter dem Decknamen "Schmied von Kochel" arbeitete, und der von Willi Pflüger mit initiierte katholische Widerstandskreis waren mit einem Schlag aufgeflogen. Aber warum? Man kannte sich gegenseitig und jeder hatte zu jedem volles Vertrauen. Schriftliche Dokumente waren nicht verfertigt oder gesammelt worden, nur hektographierte Flugblätter. Das Rätsel löste sich nach den ersten Vernehmungen. Ein Gestapospitzel hatte sich das Vertrauen eines im Widerstand tätigen Münchner Polizeibeamten erschlichen, arbeitete intensiv an der Herstellung und Verteilung von Flugblättern mit, wurde nach und nach zu Versammlungen eingeladen und war schließlich so eine Art Verbindungsmann zwischen verschiedenen Gruppen. So konnte er unauffällig Namen und Adressen sammeln und an die Gestapozentrale melden. Willi Pflüger kam in das Gefängnis Neudeck in "Schutzhaft". Erst am 2. Dez. 1940 wurde er entlassen. Sein Bruder Luitpold kam mangels Beweisen kurz nach seiner Vernehmung im August 1939 auf freien Fuß. Auch der Bruder Bruno wurde im August aus der Untersuchungshaft entlassen, aber sofort zum Kriegsdienst eingezogen. Knapp ein Jahr später fiel er in Russland.
Nur Heinrich Pflüger blieb bis zum Prozess in Haft in Stadelheim. Trotz vielfacher Gnadengesuche, vor allem von Seiten seines Bruders Hans, der als Soldat in Russland kämpfte, wurde keine Haftentlassung erreicht. Im Prozess vor dem Volksgerichtshof unter seinem Präsidenten Freisler stützte sich die Anklage auf Hochverrat bzw. Vorbereitung hierzu. In diesem Gerichtsverfahren wurde Heinrich Pflüger am 16. Juni 1944 zu fünf Jahren Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, anstelle der beantragten Todesstrafe. Zott wurde als einziger aus der Gruppe zum Tode verurteilt und am 15. Januar 1945 in Berlin hingerichtet. Adolf Freiherr von Harnier starb am 12. Mai, kurz nach der Befreiung aus dem Zuchthaus Straubing, an Hungertyphus.

Die Kriegsjahre in Goldach
Wilhelm Pflüger war zwar im Dez. 1940 wieder im Amt in Goldach, jedoch stand er von Seiten der Partei nun unter ständiger Beobachtung. Seine Schultätigkeit durfte er von 1941 bis Kriegsende nicht ausüben.i Trotz eindringlicher Ermahnung durch Gestapo und Ordinariat begann er sofort wieder Verbindung zu Gesinnungsgenossen aufzunehmen. Außerdem hielt er sich nicht an das Predigtverbot. Er begründete dies damit, dass er den Verkündigungsauftrag (also auch Predigtauftrag) von seinem Bischof bei der Priesterweihe erhalten habe. Er lasse sich das Predigen weder von den Nazis noch von dem Generalvikar verbieten. Er war auch nicht bereit, sich zu verstecken. Kaum zurück in Goldach, nahm Pflüger wieder Verbindung auf zu den alten bzw. neuen Vertrauten. Da sich seine politische Einstellung nicht änderte, kam er, diesmal wegen Verweigerung des Hitlergrußes, vom 7.11.42 – 15.11.42 erneut in Polizeihaft.ii Der Priester war angesichts der Kriegslage vom baldigen Ende des NS-Regimes überzeugt und hielt damit auch nicht hinter dem Berg. Im Oktober 1944 erscheint er in den "Monatsberichten des Regierungspräsidenten in München" in einer ersten Notiz.

Die Nachkriegszeit

In München fand ein Gedenkgottesdienst für die Verfolgten des Naziregimes in St. Bonifaz statt mit Weihbischof Dr. Neuhäusler, dem Abt der Benediktiner und Pfarrer Willi Pflüger, der auch die Predigt halten durfte. Der Domchor führte mit Solisten, unter anderen Luise Pflüger, Sopran, Friedrich Pflüger Bass, und Musikern der Staatsoper und der Rundfunks das Mozartrequiem auf. Radio München (Heute Bayer. Rundfunk) übertrug den Gottesdienst. Von vielen seiner Wirkungsstätten kamen in der Folge Briefe an Pfarrer Pflüger in Goldach. Der Pfarrhof wurde erneut von Leuten aller politischen Richtungen besucht, um gemeinsam Vorschläge für eine freiheitliche Zukunft zu erarbeiten. So waren der erste Wirtschaftsminister Loritz von der WAV, der spätere CSU Kultusminister Hundhammer, Mitglieder der Bayernpartei, der spätere Präsident des Landesentschädigungsamtes Dr. Auerbach, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde München und viele andere spätere Mandatsträger im bescheidenen Pfarrhof in Goldach.
Der nach seiner Haft 1944 in Stadelheim entlassene Bruder des Pfarrers, Heinrich Pflüger, übernahm das Am des Vizepräsidenten des Landesentschädigungsamtes und wurde Mitglied des 1. Bayerischen Landtags nach dem Krieg. Wilhelm Pflüger lehnte eine angebotene Kandidatur für ein politisches Mandat ab. Die Amerikaner inhaftierten den Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von Goldach. Sie machten ihm den Prozess und luden Pfarrer Pflüger als Zeugen. Das Ordinariat München erteilte Pfarrer Pflüger ein Aussageverbot! An dieses Verbot hat er sich aber ebenso wenig gehalten wie an die früheren Predigtverbote. Das Spruchkammerverfahren gegen Pflügers Denunzianten, den Goldacher Bürgermeister Georg Sedlmeier, war in den Augen Pflügers eine reine Farce. Hier wurde sein Glaube an Gerechtigkeit, Schuld und Sühne schwer erschüttert. Vielleicht war dieses Ereignis sogar mit entscheidend für sein weiteres Wirken als Pfarrer, das geprägt war von Frustration, gepaart mit Eigensinn und Trotz. Die ablehnende Haltung seiner kirchlichen Vorgesetzten, deren Devise "Schwamm drüber" er absolut nicht teilen konnte, belastete ihn schwer. Schon während der NS-Zeit war ja die Taktik der Kirchenvertreter oft die des Stillhaltens und des Arrangierens mit den Machthabern.

In seiner alten Wirkungsstätte in Goldach war Willi Pflüger nicht mehr so recht zufrieden. Ein Teil der alten Nazi-Seilschaften hatte wohl wieder Einfluss gewonnen und Pflüger wollte einen Wechsel; nach vielen Jahren als Nebenpriester endlich eine richtige, eigene Pfarrei. Er verfasste mehrere Bewerbungsschreiben um eine neue Pfarrstelle, aber alle wurden abgelehnt. Erst im Jahre 1951, nach dem Tod des Vierkirchner Pfarrers Andreas Brädl im September, erhielt er einen positiver Bescheid und freute sich auf seine neue Aufgabe.

Willi Pflüger als Pfarrer in Vierkirchen

Fritz Pflüger berichtet dazu wieder in der Biografie seines Onkels: "Ende 1951 fuhr ich Onkel Willi, der keinen PKW-Führerschein hatte, nach Vierkirchen. Er wollte sich Pfarrhof und Kirche anschauen und sich in ruhigeres Fahrwasser zurückziehen."
Ab 31.1.1952 wurde er Pfarrer in Vierkirchen. Inzwischen kam sein Bruder, Pfarrer Luitpold Pflüger, aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er war bis zu seiner Verhaftung 1939 Kaplan in Weichs. Er wurde im Vierkirchner Pfarrhof aufgenommen, ließ sich verwöhnen, half seinem Bruder in der Seelsorge und zog nach völliger Genesung nach München.

Wie freudig Pfarrer Pflüger in Vierkirchen von der Pfarrgemeinde begrüßt wurde, zeigt die Mitteilung in der lokalen Presse, in den Dachauer Nachrichten am Donnerstag, den 6. März 1952.

Willi Pflüger ging seine Aufgabe in Vierkirchen recht energisch an. Seine erste große Amtshandlung im Mai 1952 war die Weihe der drei neuen Glocken, von denen zwei die im Krieg abgegebenen ersetzten, eine kam zur Kirche nach Rettenbach.
Wichtige Instandsetzungen der Kirche betrafen das Dach und die Außenrenovierung sowie den Turm. Der baufällige Pfarrstadel, ehedem auch Viehstall, musste 1953 abgebrochen werden. Dafür wurde ein neues, kleineres Gebäude für Gerätschaften und eine Obstmosterei errichtet. Dieser Bau steht noch heute nördlich des Pfarrhofes.
Am 01.05.1953 kam Bruder Luitpold für zwei Monate nach Vierkirchen. Gerne hätte ihn Wilhelm Pflüger auf Dauer in der Pfarrei gesehen, aber erst 1954 setzte ihn das Ordinariat kurzzeitig als Aushilfspriester in Vierkirchen ein.
Pflüger führte einige Neuerungen in der Liturgie ein und legte sich auch mit dem Kirchenchor an. Er entließ die Organistin, Frl. Roth und einige Sänger, darunter den Bräu Adolf Hilg, möglicherweise wegen dessen NS-Vergangenheit. Hier spiegeln sich seine unbewältigte Vergangenheit mit dem NS-Regime und die in seinen Augen ungerechte Bestrafung seiner Vertreter in der Nachkriegszeit wider.

Er forderte regelmäßigen Kirchgang und sammelte Opfergeld für die Kirchenrenovierung. In seinen Predigten schlug er harsche Töne an, verbat "Pfennigfuchsern" das Betreten der Kirche, weil man ihm teils hunderte von Kupfermünzen in den Klingelbeutel warf. Auch in den Gottesdienstordnungen verfasste er sehr drastische Angriffe auf Teile der Bevölkerung, wie beispielsweise: (…) "Anfrage: warum wird hier so viel geklatscht und getratscht? Antwort: weil es hier viele Flach- und Hohlköpfe gibt, die kein Interesse für höhere Probleme und tiefere Fragestellungen haben, ihnen fehlt der Sinn für das Menschsein" (…). Zu einem Dankopfer im Sept. 52 sammelte die Pfarrgemeinde nur 165 Mark, was er mit Goldach verglich, wo damals zur selben Sammlung 1200 Mark gespendet worden waren. Seine Wortwahl dazu war sehr drastisch. Für die Erstkommunion verlangte er von den Buben Anzug und von den Mädchen lange weiße Kleider. Alle sollten einen "Begleiter" haben, der schon Erstkommunion hatte.

Pfarrer Wilhelm Pflüger in Vierkirchen mit Benefiziat Jakob Schmitter und Bruder Heinrich Pflüger
Foto: Dr. Anton Roth

Bei der Weihnachtsmesse führten Schüler ein theaterartiges Stück auf. In der Schule gab es die Religionsnoten vor allem nach dem Besuch der Frühmesse vor der Schule, wobei der Mesnersohn und die Ministranten zwangsweise gut dastanden, die Bauernkinder, die oft schon früh im Stall mithelfen mussten, waren benachteiligt. Er hatte daher Lieblingsschüler und unbeliebte. Auch seine Bestrafungen waren gelegentlich hart, die Buben bekamen schon mal eine Watschn, was damals durchaus üblich war, die Mädchen blieben meist verschont.
Trotzdem war er bei den Schülern nicht unbeliebt. Er verstand es, den Kindern nach den Maiandachten spannende Geschichten, Geister- oder Kriminalgeschichten, im Pfarrhof zu erzählen. Einige Vierkirchner schickten Protestschreiben wegen Chor, Schule und Liturgie an den Generalvikar. Die Beschwerden hatten natürlich Folgen. In einer Qualifikation vom 18.11.1953 durch Prälat Pfanzelt sagt dieser u.a.: "Das unbeherrschte Temperament des H. Pf. Pflüger, das sich absolut nicht beeinflussen lässt, macht seine ganze Arbeit zunichte und ist für viele Grund genug zu einer vollen Aversio (Abwendung) im christlich praktizierten Leben. Drum die Bitte videant consules (die Vorgesetzten sollten achten, dass kein Schaden entsteht). Dachau, 18. Nov. 1953."

Die letzten Jahre Wilhelm Pflügers

Zermürbt von den Anfeindungen resignierte der Pfarrer am 28.2.1954. Auch seine Gesundheit war durch die Folgen des KZ-Aufenthalts schlecht. Der Kreis seiner beharrlichen Gegner war eher klein. Er hatte durchaus auch einen großen Teil der Bevölkerung hinter sich. Positive Schreiben um seinen Verbleib vom Burschenverein Pasenbach, deren Präses er war, sowie von der Kirchenverwaltung, dem Frauenbund und dem Jedenhofener Mesner konnten ihn nicht umstimmen. Anfang März fuhr der Mesnersohn von Vierkirchen seinen Hausrat mit Traktor und Anhänger nach München. Sein Nachfolger, Pfarrer Wolfgang Lanzinger notierte dazu in der Pfarrchronik: "Nur 2 Jahre hatte H. H. Pfr. Pflüger Wilhelm in Vierkirchen gewirkt. Arge Missstimmigkeiten mit einem kleinen Teil der Bevölkerung ließen ihn auf die Pfarrei Vierkirchen verzichten.
Am 31. März nachmittags reiste H. H. Pflüger ab und begab sich zunächst nach München ins Haus seiner Mutter, um dort einen längeren Urlaub zu genießen. (…)".
Ab 1.9.1954 war er dann Vikar in Elbach-Miesbach. Mit ihm ging seine Vierkirchner Haushälterin Katharina Kremmel, die ihm bis zu seinem Tode treu blieb. In Elbach war er beliebt, blieb bis zum 1.10.1956 und ließ sich dann wieder aus gesundheitlichen Gründen in den zeitlichen Ruhestand versetzen. Ab 19. Juni 1957 war er Kommorant in Ellbach bei Bad Tölz.
In Ellbach wohnte er zusammen mit seiner Haushälterin Kathi Kremmel und deren beiden Töchtern zunächst im Pfarrhof, später, von 1962-1967 im eigenen Haus im Nachbarort Greiling, Lindenweg 7. Seine Gepflogenheiten in der Schule blieben die gleichen wie in Vierkirchen. Das Brevier betete er täglich beim Spazierengehen im Naturschutzgebiet Ellbacher Moor.

Am 23. Mai ersuchte er um Entlassung aus Gesundheitsgründen aus dem Amt in Ellbach, was ihm mit Wirkung vom 1. Aug. 1967 auch gewährt wurde. Wilhelm Pflüger besaß eine goldene Taschenuhr, die ihm bei der Einweisung ins KZ natürlich abgenommen wurde. Nach seiner "Befreiung" bekam er sie jedoch zurück. Er vermachte sie in seinem Nachlass der Haushälterin Kathi Kremmel, deren Tochter sie noch heute besitzt.
Pflüger wohnte zuletzt in Garching/Alz, Futakerstr. 12 und verstarb am 12.10.1967 im Krankenhaus Altötting. Seine letzte Ruhestätte fand er vier Tage später im Nordfriedhof in München.


Familiengrab der Fam.Pflüger

Foto: Fritz Pflüger

Verdrängung der Lagerhaft


Pf. Pflüger, Kooperator Schmid und Bürgermeister Eichinger um 1952.

Foto: A. Rapf   

Wilhelm Pflüger hat über seine Zeit im Lager in Dachau nie etwas erzählt. Es hat ihn aber entscheidend sowohl physisch wie psychisch verändert. Sein Neffe berichtet dazu: "Im Gegensatz zu den Haftzeiten im Wittelsbacher Palais, in Stadelheim und Neudeck hat der letzte Aufenthalt im KZ Dachau meinen Onkel traumatisiert. Die KZ-Erlebnisse hat er nie aufgearbeitet.
Von Seiten der Kirche oder sozialen Einrichtungen kam keinerlei Angebot für professionelle Hilfe. Er hat zweimal mit mir gesprochen, mehr aus Versehen rutschte ihm eine Bemerkung heraus, besonders während der Zeit des KZ-Prozesses in Dachau. Auf Nachfrage schilderte er seine Todesangst, die Todesschreie am Zaun oder beim Appell, die brutale unmenschliche Gewalt der SS-Schergen, der widerwärtige Gestank aus den Krematorien. Er war dann sehr aufgewühlt und verschloss sich wieder wie eine Muschel. Ich musste ihm versprechen, mit niemanden darüber zu sprechen."

Vor allem zwei Dinge haben sein Leben vor und nach dem Krieg geprägt: die zu angepasste Haltung der Katholischen Kirche während der NS-Zeit und die seiner Meinung nach ungerechte und nachsichtige Behandlung der Täter beim politischen Neubeginn.


Quellen:
Fritz Pflüger: Biografische Skizzen über meinen Onkel, Pfarrer Wilhelm Pflüger,
Brief vom 12.11.2010. AEM, Fragebogen vom Juli 1946, Buchstabe P, PA-P III 1327;
Personalakt des Priesters Wilhelm Pflüger; Schematismus d. Geistlichkeit.
Stadtarchiv München: Polizeilicher Meldebogen B 251.
HStAMü: Monatsberichte des Regierungspräsidenten in München, StK 6695 und StK 6671.
Archiv KZ-Gedenkstätte Dachau. Pfarrchronik Vierkirchen, April 1954.
Zeitzeugen: Fr. Magdalena Pflüger München. Fr. Maria Sopp, Lohr/Main
Literatur: Ulrich von Hehl, , Christof Kösters, Petra Stenz-Maur und Elisabeth Zimmermann: Priester unter Hitlers Terror, 1996. Ch. M. Förster, Der Harnier-Kreis, Paderborn 1996.
Wilhelm Seutter von Lötzen, Bayerns Königstreue im Widerstand, Erinnerungen 1933-1964, Feldafing, (1978?).
Georg Schwaiger, Das Erzbistum München und Freising in der Zeit der Nationalsozialistischen Herrschaft, 1984.

aus der Zeitschrift HAUS, HOF UND HEIMAT, Heft 11/2011
mit freundlicher Genehmigung von Helmut Größ, Vierkirchen