Kirchenchorstreik
um 1900
Erinnerungen
einer Lehrersfrau aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg
Aus dem Tagebuch der Josephine Hartlmaier
Pfr.Georg Gröschl,
der von 1886-1904 Pfarrer in Bergkirchen war, hatte unter seinen Bediensteten
für den Pfarrbauernhof eine Magd (nach anderer Quelle: zwei Mägde),
die sich offensichtlich nicht nach den moralischen Vorstellungen der Bevölkerung
verhielt. Die Leute forderten den Pfarrer auf, die liederliche Frau zu
entlassen. Doch Pfarrer Gröschl lehnt das ab und wollte ihr eine
Chance zur Besserung des Lebenswandels geben. Das hatte Folgen, wie Frau
Hartlmaier in ihrem Tagebuch schreibt.
Wann sich das abgespielt hat, ist mir nicht bekannt. Doch Frau Hartlmaier
kam mit ihrem Mann, dem Lehrer Joseph Hartlmaier im Jahr 1900 nach Bergkirchen
und stellte sofort fest, dass die Situation angespannt war. Der Streik
des Kirchenchors war damal wohl schon im Gange. Erschwerend kam hinzu,
dass der Vorgänger von Lehrer Hartlmaier kurz vorher wegen Missbrauchs
von Schülerin-nen entlassen worden war.
Frau Hartlmaier hat -wie ihr Enkel schreibt- "ihr
Leben in elf dicken Wachsstuchheften niedergeschrieben, und zwar so, wie
sie
es empfunden hat. Dabei nimmt sie sich kein Blatt vor
den Mund und hält mit ihren Gefühlen nicht hinter dem Berg.
Immer
wieder überrascht sie durch lebhafte Schilderung.
Ihre echt bayerische Art und ihr Münchener Blut kommen dabei deutlich
zum Ausdruck. Im Folgenden bringen wir einen Ausschnitt
aus den Aufzeichnungen, die sich auf den Dachauer Raum beziehen
und durch das Zeitkolorit sicher allgemeines Interesse
finden".
"Abschnitt:
Neue Unannehmlichkeiten
Bald hatten wir gemerkt, dass der Pfarrer mit seinen Angehörigen vom ganzen
Dorf boykottiert wurde. Andererseits suchte dieser wieder eine Fühlungnahme
meines Mannes mit den Leuten vom Dorf offenkundig zu vermeiden. Sechs
Tage lang lud man unsere ganze Familie samt dem Hilfslehrer gegen geringe
Bezahlung in den Pfarrhof zum Essen.
Auch
bezüglich des Chorgesanges gab es unliebsame Entdeckungen. Sängerinnen,
die beim Vorgänger in der Kirche gesungen hatten, zeigten sich jetzt gegenüber
jeder Einladung meines Mannes widersprüchig. Auch das war gegen den Pfarrer
gerichtet. Unter diesen Umständen musste mit einer Neubildung des Kirchenchores
begonnen werden. Nach und nach versuchte mein Mann den Bauern näherzurücken.
Er erfuhr dabei, dass dem Pfarrer besonders zwei Dinge übelgenommen wurden.
Einmal, dass er ein als ziemlich leichtsinnig geschildertes Mädchen immer
noch im Haus behalte und im Dorf herumlungern lasse.
Weiter, dass seinetwegen die Bauern täglich eine außerordentliche Nachtwache
aufzubringen hatten, weil in der Nacht zum 16. April des Pfarrers Pferd
durch die Hand eines Übeltäters am Rücken verletzt worden war. Eine Anzeige
am Bezirksamt habe die Nachtwache bewirkt.
Die Bevölkerung war sich darin einig, dass die Ursache für die Verletzung
des Tieres niemand anderer war, als die zwei "Pfarrschicksen" nämlich
die zwei dort bediensteten Mägde. Schließlich kam ans Licht, dass jener
Schurkenstreich wirklich von der älteren Pfarrersmagd ausgeführt worden
war. Sie verschwand aus dem Dorf. Als bald darauf Herr Pfarrer mit meinem
Mann ins Wirtshaus kam, erwies man ihm wieder die gebührende Hochachtung.
Der Groll schien beseitigt zu sein.
Nur eine verharrte noch im alten Hass, schoss aus der noch gefüllten Kirche,
wenn der Geistliche nach dem Amt das Weihwasser auszuteilen sich anschickte,
und betete beim "BroslKreuz", wo im Freien Rosenkränze abgehalten wurden,
mit den Bauernweibern laut noch ein besonderes Vaterunser, "damit den
Pfarrer bald der Teufel hole."
recherchiert von Hubert
Eberl, Bergkirchen
28.4.2015
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